Jun 22, 2010

Reaktionen unserer "Kritiker"

Mohssen Massarrat, der auf der abgesagten Podiumsdiskussion einen "kritischen" und "offensiven" Dialog mit dem iranischen Botschafter führen wollte, hat sich mit einer öffentlichen Stellungnahme zu Wort gemeldet, die am 19.6. in gekürzter Fassung auch im antizionistischen Kampfblatt der Deutschen Linken, der "Jungen Welt", erschienen ist (vgl. http://www.jungewelt.de/2010/06-19/030.php):

Prof. Dr. Mohssen Massarrat Osnabrück, 18. Juni 2010

Stellungnahme

anlässlich der Kampagne gegen eine öffentliche Diskussions-Veranstaltung
mit dem Botschafter der Islamischen Republik Iran in Osnabrück


Die Volkshochschule der Stadt Osnabrück und der Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück hatten den Botschafter der Islamischen Republik Iran, Ali Reza Sheikh Attar, zu einer Podiumsdiskussion „Wohin bewegt sich der Iran?“ für Dienstag, 22. Juni 2010, nach Osnabrück eingeladen, an der auch ich mitwirken sollte. Unmittelbar nach Bekanntgabe dieser Veranstaltung gelang es einem „Solidaritätsbündnis für die iranische Freiheitsbewegung“, einer mir bisher nicht bekannten Initiative, mit massiven Drohungen und Einschüchterungen die Volkshochschule Osnabrück zur Absage der geplanten Veranstaltung zu veranlassen. Wer auch immer hinter dieser anonymen Initiative sich verbergen mag, sie kann sich ihres Erfolgs erfreuen, aus der Anonymität heraus einen Anschlag auf die Demokratie in Deutschland verübt zu haben. Es ist offensichtlich wieder so weit, mit Drohungen und Diffamierungen eine offene und kontroverse Diskussion unmöglich zu machen.

Im Schreiben an die Veranstalter plädierte die Initiative dafür, „einem Verbrecher“
und „Vertreter des offenen Islamismus und eliminatorischen Antisemitismus“ keine
Bühne zu geben. Auch andere Gruppen, wie beispielsweise der sogenannte
„Zentralrat der Ex-Muslime“, sowie Einzelpersonen wendeten sich mit fast gleichem
Wortlaut und gleicher Forderung ebenfalls an die Veranstalter. Es ist offensichtlich:
hier ist erneut ein Netzwerk aktiv, das seit Jahren unter den verschiedensten
Bezeichnungen, wie z. B. die pro-israelische Initiative „Stop the Bomb“, offensiv den
Versuch unternimmt, den Iran zu dämonisieren, um einen möglichen israelisch-amerikanischen Krieg gegen dieses Land als legitim erscheinen zu lassen und den
Boden für die Beteiligung anderer Staaten an einem solchen Krieg propagandistisch
vorzubereiten. In den Protestschreiben wird daher bewusst mit Begriffen wie
„Massenmörder“, „Djihadisten“, „faschistisches Regime“ o. ä. gearbeitet. Auffällig ist auf jeden Fall, dass diese Initiativen unter dem Deckmantel der „Verteidigung von
Menschenrechten“ und der „Solidarität mit der iranischen Freiheitsbewegung“ sich
gegen jedwede Beziehung mit dem Iran und gegen jedweden Dialog mit Vertretern
des iranischen Regimes richten, offensichtlich deshalb, weil damit ihre
Dämonisierungsstrategie nicht zum Tragen käme. Nein, diesen Leuten geht es mit
Sicherheit nicht um die Demokratie im Iran, mehr noch: sie scheuen nicht davor
zurück, die Demokratiebewegung im Iran für ihre Zwecke der psychologischen
Vorbereitung eines Krieges zu instrumentalisieren, der für lange Zeiten die
Grundlagen einer demokratischen Entwicklung im Iran und im Mittleren und Nahen
Osten zerstören würde.

Es ist sehr bedauerlich, dass auch einzelne exiliranische Gruppen sich derartigen
Kampagnen gegen die Islamische Republik Iran, wenn auch unbewusst, anschließen. Tragisch ist auch, dass die geistige Haltung dieser Gruppen nicht die Lösung, sondern Teil des Demokratieproblems im Iran ist. Wer heute aus der Opposition heraus die Vertreter der anderen Seite pauschal als „Verbrecher“ und „Mörder“ bezeichnet und einen Dialog mit ihnen verweigert, der wird – einmal an der Macht – Andersdenkenden ebenfalls das Existenzrecht streitig machen. Wo aber ist dann der Unterschied zwischen ihnen und denjenigen, die sie heute vorgeben, wegen ihrer diktatorischen Gesinnung bekämpfen zu wollen?

Iranerinnen und Iraner haben schon einmal Leuten vertraut, die zunächst Demokratie
versprachen, dann aber im Namen des Islams ihre eigene Diktatur errichtet haben.
Das iranische Volk wird angesichts dieser eigenen bitteren Erfahrungen den Irrtum
sicherlich nicht wiederholen und nicht erneut jenen hinterherlaufen, die eine andere,
diesmal antiislamische Diktatur errichten wollen. Die geistige Haltung beider Seiten - derjenigen, die heute im Iran an der Macht sind und Andersdenkende nicht dulden
und derjenigen, die morgen zu denselben Mitteln greifen werden – ist ein und
dieselbe und auch zutiefst antidemokratisch. Wer es aber mit dem Aufbau eines
demokratischen Iran Ernst meint, der darf das Existenzrecht der heute Herrschenden in einem demokratischen Iran nicht streitig machen. Dies impliziert aber unweigerlich, die demokratische Kultur schon jetzt zu praktizieren und den Dialog mit ihnen selbst dann nicht zu verweigern, wenn diese sich antidemokratisch verhalten und außerstande sind, Andersdenkende zu dulden.

Ich weigere mich jedenfalls, mich dem Diktat einer obskuren Strömung zu beugen, die das Ziel verfolgt, die Islamische Republik Iran zu dämonisieren und die Kritik an
der israelischen Besatzungs- und Gewaltpolitik zu tabuisieren.